Wenn alte Menschen ihr Zuhause verlieren

Greislerei Glückspost - wenn alte Menschen ihr Zuhause verlieren - zu sehen ist ein alter Baum

Mein Gastbeitrag für die Glückspost der Greislerei. Inge kann Mut machen, wenn alte Menschen ihr Zuhause verlieren. Nach einer wahren Geschichte.

Für den entzückenden Service der Greislerei - Glückspost für Senioren und Seniorinnen - durfte ich diesen Gastbeitrag schreiben.

“Alte Bäume verpflanzt man nicht”

Diesen Spruch kennen Sie mit Sicherheit auch und wissen, dass damit gemeint ist, ältere Menschen möglichst nicht aus ihrem gewohnten Lebensumfeld zu reißen. Wenn alte Menschen ihr Zuhause verlieren, kommt das oft einer Katastrophe gleich. Warum, kann jeder nachvollziehen, der nach langer Zeit umzieht und sich auf einmal nicht mehr zurechtfindet. Wo man früher nachts im Dunkeln zur Toilette tappen konnte, ist nun Licht erforderlich. Möbel stehen nicht mehr an ihrem gewohnten Platz und Lichtschalter befinden sich auf der falschen Seite. Alles fühlt sich fremd an – und das im eigenen Zuhause. Das ist schon in jungen Jahren eine Herausforderung, in älteren Jahren wird es zu einer Zumutung. Die allerdings manchmal zugemutet wird …


Lassen Sie mich Ihnen die Geschichte von Inge erzählen.


Inge ist eine resolute Dame und weit über 80 Jahre alt. Sie wohnte im eigenen Haus in einer separaten Wohnung in einer beschaulichen Kleinstadt in Nordrhein Westfalen. Ihr jüngerer Sohn und dessen Frau – meine ehemalige Freundin –
wohnten mit ihr im Haus, schauten hin und wieder nach ihr, aber im Großen und Ganzen lebte jeder sein eigenes Leben. Das Haus hatte Inge dem jüngeren Sohn bereits zu Lebzeiten überschrieben.
Aus Gründen, die hier keine Rolle spielen sollen, zog Inge vor 4 Jahren (auch da war sie schon über 80 Jahre alt) nach Hamburg. Dort lebte ihr älterer Sohn, der ihr half, eine schöne Wohnung zu finden. Denn unabhängig war Inge schon immer und gedachte es auch solange wie möglich zu bleiben. Es war schwer für Inge, sehr schwer. Manchmal, wenn wir telefonierten, weinte sie. Die
Wohnung war zwar schön und die anderen Menschen im Haus auch sehr nett, aber das Gewohnte, das Bekannte, das Leben – so wie sie es bisher kannte – war einfach weg.


Seit 2 Jahren sprudelt Inge allerdings förmlich vor Begeisterung über, wenn wir miteinander sprechen. Sie hat sich einer Gruppe von Senioren angeschlossen, die regelmäßig ein bisschen Gymnastik betreiben, denn – so Inge – „wir wollen ja schließlich fit bleiben“. Außerdem hat sie einen Lesezirkel gegründet, in dem ausgewählte Literatur gelesen und diskutiert wird. Als ehemalige Lehrerin ist sie eine nimmersatte Bücherliebhaberin und steckt andere Menschen unweigerlich damit an. Dem Zirkel gehören Menschen aller Altersgruppen an, auch deutlich Jüngere finden daran Gefallen. Man trifft sich in einem der schönen Cafés in der
Hamburger City und reist gedanklich durch die spannende Welt der Bücher.


Ihr Sohn unternimmt regelmäßige Ausflüge mit ihr und sie lernt ihre neue Heimat besser kennen und lieben. Sie hat mehr soziale Kontakte und unternimmt wesentlich mehr als früher. Von Heimweh ist keine Spur mehr zu hören. Nur die Heimat ihrer Kindheit, die trägt sie als beständige Sehnsucht in ihrem Herzen. Es ist ein weiter Weg dorthin, 300 km eine Strecke.

An einem Sonntag erfüllte ihr Sohn ihr den Wunsch und fuhr Inge mit dem Auto die weite Strecke dorthin. Sie besuchten die Plätze, die Inge schon als Kind geliebt hatte, bestaunten die Veränderungen und freuten sich über Unverändertes. Auch alte Bekannte gab es noch, und man traf sich zu einem geselligen Kaffeekränzchen. Danach ging es die ganze Strecke wieder zurück nach Hamburg und Inge rief entzückt beim Anblick typischer Hamburger Silhouetten: „Ah, bald sind wir
wieder Zuhause!“


Als ich sie fragte, ob ihr das denn nicht zu viel Aufregung für einen Tag gewesen sei, antwortete sie: „Ach was! Das war so schön, die Zeit verging wie im Flug und vor lauter Freude hatte ich doch gar keine Zeit für Erschöpfung. Und wissen Sie was, Sabine, worauf ich besonders stolz bin?“
„Äh, nein …“
„Ich bin trotz der langen Fahrt dicht geblieben! Das ist in meinem Alter auch nicht mehr selbstverständlich …“


Ja, so ist sie, die Inge. Bringt mich immer zum Lachen mit ihrer offenherzigen und selbstironischen Art. Verdient meinen tiefen Respekt für ihre unbeugsame Lebenskraft. Schenkt mir Optimismus und Hoffnung, wenn mir selbst mal im Hinblick auf das Alter angst und bange wird.


Ich wünsche mir, dass diese Geschichte auch Ihnen Mut schenkt. Sie die Geschichte weitererzählen, wenn alte Menschen ihr Zuhause verlieren. Denn auch wenn es heißt “Alte Bäume verpflanzt man nicht”, so heißt das nicht, dass sie es nicht überleben. Und am neuen Platz nicht sogar aufblühen. Neue Äste und Verbindungen bekommen und sich der Sonnenseite zuwenden.

Denn eins wissen wir ja alle über alte Bäume: Sie sind stark!
Optimistische und herzliche Grüße,
Ihre Sabine Krömer

Bildnachweis Canva

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