Nie hätte ich es für möglich gehalten – Heimat ist für mich beides: Ort und Gefühl.
Als ich vor 40 Jahren aus dem kleinen westfälischen Dorf meiner Heimat in die “große, weite Welt” hinauszog, war für mich klar: Heimat ist da, wo ich mich zu Hause fühle. Mit Menschen, die ich mag. Einer Landschaft, die mir gefällt. Der Ort ist komplett unwichtig für das Heimatgefühl. Deshalb hätte ich die Überlegung “Heimat – Ort oder Gefühl?” mit Gefühl beantwortet. Ich sollte mich täuschen: Heimat ist ein Ruf, der mich ereilt hat und so drängend wurde, dass ich nun tatsächlich wieder zurück gehe: In meine Heimat – die Orte meiner Kindheit und Jugend.
Mit Anfang 20 war mir alles zu eng und klein. Dieses “jeder kennt jeden” Dorf-Leben schnürte mir die Luft ab. Ich wollte mehr. Mehr erleben. Anonym bleiben. Keine Vergangenheit haben. Ein neues Leben beginnen. Sehr schnell stellte sich dann allerdings heraus, dass eine Großstadt ganz und gar nicht das Richtige für mich war. Viel zu laut, viel zu wenig Grünfläche, viel zu viele Menschen, viel zu viel Anonymität. Das einzig Positive war, dass ich auch im Sommer jedes Fenster offenlassen konnte – keine Fliege verirrte sich in meine Wohnung. Und so tingelten wir in den ersten elf Jahren alle 2-3 Jahre in die nächste Wohnung, bis wir im Frühjahr 1994 in Hessen landeten und dort 29 Jahre blieben – wieder in einem Dorf mit viel Grünflächen drum herum.
Meine Wahl-Heimat hat mich vieles gelehrt.
Was ich in diesen insgesamt 40 Jahren erlebte, unterscheidet sich wohl kaum von dem, was auch andere Menschen so erleben. Es gab gute Zeiten und schlechte Zeiten, schöne Erinnerungen und schlechte Erinnerungen, Triumphe und Tragödien – das Leben halt. Seit ein paar Jahren habe ich nun das Gefühl, bei mir selbst wirklich angekommen zu sein. Frieden geschlossen zu haben. Genügend Wissen gewonnen zu haben. Ein bisschen Weisheit vielleicht auch. So schnell bringt mich nichts mehr aus der Ruhe, das ist ein zutiefst befriedigendes Gefühl.
Seit jeher habe ich meine Jahrzehnte rückblickend immer klassifiziert. So waren die 20er sehr schmerzvoll und die 30er pures Glück. In den 40ern habe ich vor allem gesucht, und in den 50ern das Gefundene versucht umzusetzen. Nun – mit Anfang 60 – habe ich das Gefühl, zum ersten Mal ernten zu dürfen und fühle mich reich beschenkt. Fast zeitgleich wuchs der Wunsch, in meine alte Heimat zurückzukehren, denn wirklich heimisch bin ich hier in Hessen trotz guter Nachbarschaft nicht geworden. Letzten Endes blieben alle Kontakte an der Oberfläche, was womöglich auch meine Schuld war. Wenn schlechte Erfahrungen dazu führen, dass das Vertrauen in andere Menschen – wenn`s wirklich drauf ankommt – nur in der Theorie, nicht aber in der Praxis Bestand hat, ist es schwer, nicht sehr vorsichtig mit neuen Kontakten zu sein. Sicher ist das nicht gerecht, nur leider menschlich.
Meine Heimat im Herzen blieb immer Westfalen.
Wenn wir einmal im Jahr in unsere alte Heimat fuhren, um meine Schwester zu besuchen, blühte ich schon Kilometer vorher auf. Bekannte Ortsnamen, bekannte Gegenden und Plätze, bekannte Menschen, tolle Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend – nichts Belastendes trübte den Blick. Und so beschlossen Peter und ich: Wenn wir nochmal umziehen, dann gehen wir zurück!
Dass es nun so schnell geht und noch dazu mit so glücklichen Fügungen, die an ein Wunder grenzen, hätten wir uns in den kühnsten Träumen nicht ausmalen können. Wobei … das ist Quatsch. Tatsächlich haben wir genau davon geträumt! Es erscheint nur manchmal surreal, dass Träume tatsächlich in Erfüllung gehen können. Jetzt, da ich dies schreibe, sind es nur noch 14 Tage, bis wir unsere Zelte hier ab- und in Willebadessen-Eissen wieder aufschlagen. Wir freuen uns wie kleine Kinder …
Der Ort liegt nur 10 km von dem unserer Kindheit entfernt. Wir kennen alle Orte und die Gegend. Entdecken bereits damals existierende Geschäfte und neu hinzugekommene. Wir laufen alte Feldwege entlang und halten uns an den Händen wie damals. An jeder Ecke lauert eine wunderbare Erinnerung. Der Ort, die Gegend, unsere Heimat atmet unsere Geschichte.
Wir sind zu Hause.
Heimat ist ein Ort.
Und ein Gefühl.
Kommt beides zusammen, ist das Glück perfekt.
Bildnachweis Sabine Krömer