Das Alter trifft jeden Einzelnen – zusammen alt werden gelingt nur zu zweit
Frisch verliebt haben wir alle nur eins im Sinn: Mit dir möchte ich zusammen alt werden! Diese Liebe, dieses Glück, diese Gefühle – nie sollen sie vergehen. Während es früher völlig normal war, für immer zusammen zu bleiben, sieht das heute durchaus anders aus. Veränderungen, Gewohnheiten und unterschiedliche Entwicklungen sorgen immer schneller dafür, dass Paare sich trennen. Zusammen alt werden scheint nur wenigen vergönnt und noch weniger wird verstanden, wie das überhaupt gehen soll.
Wenn Liebe das stabile Fundament ist, kann zusammen alt werden gelingen.
In der Theorie wissen wir, dass Liebe sich im Lauf der Zeit verändert. Dieser Rausch des Anfangs hält nicht ewig an. Das ist auch gut so, denn wirklich zurechnungsfähig und “bei Sinnen” sind wir in diesen Zeiten wahrlich nicht.
Wenn nicht mehr vorwiegend die Hormone verrückt spielen, muss es dennoch nicht mit der Liebe vorbei sein. Sie ist nur anders geworden, tiefer und weniger oberflächlich. Sehenden Auges statt blinder Euphorie. Wir nehmen wahr, dass unser Gegenüber ein ganz normaler Mensch ist und der Sockel, auf den wir ihn oder sie gesetzt haben, bröckelt. Die Füße berühren wieder den Boden, die Augen sind in Augenhöhe, das Herz in Herzhöhe – das ist doch wunderbar! Denn: Von uns selbst wissen wir nur zu gut, dass wir nur Mensch sind, keineswegs unfehlbar, keineswegs über allen Dingen stehend, keineswegs makellos. Wie beruhigend ist es doch dann zu erkennen, dass auch unser Schatz nur ein Mensch ist. Alles andere würde uns langfristig sehr minderwertig fühlen lassen. Es lohnt sich, darüber einmal nachzudenken …
Auch Veränderungen oder unterschiedliche Interessen müssen nicht zwangsläufig das Ende einer Partnerschaft bedeuten. Wir alle entwickeln uns weiter, sind heute nicht mehr derselbe Mensch, der wir noch vor zehn Jahren waren. Äußerlich und innerlich.
Äußerlich bekommen wir Falten, werden dicker oder dünner, Haare und Haut verändern sich, womöglich entstehen Narben aufgrund eines Unfalls. Aber liegt unter diesem neuen Äußeren nicht immer noch der Mensch, in den wir uns verliebt haben? Und wenn wir das nicht mehr sehen, haben wir dann womöglich nur verlernt, mit dem Herz zu sehen und verlassen uns nur noch auf die Augen? Und wie sieht es mit inneren Veränderungen aus? Uns selbst gestehen wir sie zu, nennen es stolz persönliche Weiterentwicklung, auch dann, wenn diese in unserem Umfeld weniger gut ankommt. Gleichzeitig beklagen wir, dass sich unser Partner/unsere Partnerin verändert habe, auch dann, wenn er oder sie sich damit wohler fühlt. Ich finde das verwirrend, da mit zweierlei Maß gemessen wird.
Als Suzann Scheidegger – eine Paar Therapeutin – auf LinkedIn einen Beitrag zu diesem Thema gepostet hat, erzählte sie unter anderem, dass sie in ihrer Praxis einen 58-jährigen Mann hatte, der sich von seiner zweiten Frau getrennt hat, weil sie in den Wechseljahren immer mehr zugenommen habe. Er konnte keinen Sex mehr mit ihr haben, weil er sie nicht mehr schön fand. Also trennte er sich und suchte sich eine 15 Jahre jüngere Partnerin. Dass er selbst zwar mittlerweile auch einen Bauch hatte, kompensierte die jugendlichere Partnerin an seiner Seite offensichtlich deutlich genug. Tja. Da war ich sprachlos. Da kann doch seitens Mann keine Liebe mehr gewesen sein, oder?
Ich schrieb Suzann:
“Ich bin mit Peter jetzt 46 Jahre zusammen und es ist klar, dass wir uns beide äußerlich verändert haben. Aber aus irgendeinem Grund sieht er in mir immer noch das junge Mädchen, in das er sich verliebt hat und umgekehrt ist es auch so. Ich muss mich richtig konzentrieren, um ihn auf lichtere Haare, ein paar Falten oder weniger Muskeln zu reduzieren. Warum sollte ich das tun? Was Macken, Narben, Schwächen, Krankheiten betrifft, sind diese eine wunderbare Übung in Sachen Toleranz. Macken sind nicht selten das, was uns früher faszinierte und später nervte. Allein das zu wissen ist hilfreich. Narben sind Lebenserfahrung. Hat jeder Mensch. Schwächen können wunderbar durch eigene Stärke überwunden werden, gemeinsam geht alles leichter. Und Krankheit? In guten wie in schlechten Tagen. Liebe ist ganzheitlich. Außen und innen.”
Zusammen alt werden ist ein besonderes Geschenk.
Bildnachweis Sabine Krömer