Wenn Intuition Angst macht – die Schattenseite einer Gabe
Grundsätzlich wird Intuition von den meisten Menschen sehr geschätzt. Kein Wunder, ist sie doch manchmal verlässlicher als unser ach so kluger Verstand. Intuition ist eine Gabe, die Menschen hilft, bessere Entscheidungen treffen zu können. Intuition verleiht uns ein Gefühl von Gewissheit, ohne es genau erklären zu können. Das sogenannte Bauchgefühl macht sich deutlich bemerkbar – entweder durch eine wohlige Wärme oder durch eine verkrampfte Muskulatur. Wir spüren, was richtig und was falsch ist. Und doch gibt es auch eine Schattenseite, von der du die Finger lassen solltest: wenn Intuition Angst macht.
Intuition trainieren mit der Ampel
Meine Intuition ist seit jeher sehr gut. Ich wüsste gar nicht, wie ich ohne sie durchs Leben käme. Ich mag sie also. Dabei habe ich sie nie trainiert oder bewusst “befragt” – sie meldete sich von allein im jeweils richtigen Moment.
Meine damalige Chefin Iris Geyer erkannte das schnell und wollte mir eine Möglichkeit zeigen, Intuition mit der Ampel zu trainieren. Wissbegierig und neugierig wie ich war, nahm ich dankbar an. Kurz erklärt funktioniert das Training wie folgt:
Stell dir eine Ampel vor. Dann lass nacheinander die Farben grün, orange und rot aufleuchten und achte darauf, wie du dich bei der jeweiligen Farbe fühlst. Warm? Kalt? Wie ist die Atmung? Tief? Flach? Schnell? Langsam? Wie fühlt sich die Muskulatur an? Angespannt oder locker? Wenn du jede Farbe mit deinem Körper “spürst”, stell eine Behauptung auf und warte, ob eine Farbe aufleuchtet. Nichts erzwingen, einfach kommen lassen.
Wenn sich das für dich schräg anhört, kann ich dich verstehen. Ging mir anfangs auch so. Nur funktionierte die Ampel bei mir absolut hervorragend. Ich habe zig Behauptungen aufgestellt, und nie lag sie daneben.
- Ich heiße Sabine (grün).
- Ich habe sechs Kinder (rot).
- Ich verliere meinen Job (orange).
Natürlich hat mich das mit dem Job total beunruhigt. Noch schlimmer wurde es, als Iris mich bat, die Ampel zu befragen, ob es ihr Geschäft in Gründau im Jahr 2015 noch gibt und die Ampel klar rot aufleuchtete. Wir haben alle gelacht, etwas bemüht zwar, aber immerhin im festen Glauben, das sei alles Hokuspokus. Zu dem Zeitpunkt lief das Geschäft noch gut, und es war völlig unvorstellbar, warum sich das ändern sollte.
Und dann machte meine Intuition mir Angst
Iris war krebskrank. Sie entschied sich für eine alternative Medizin. Keine Medikamente, keine Chemotherapie. Sie wurde immer dünner. Ich hatte Angst um sie. Als ich im August 2009 Urlaub hatte, war ich so besorgt, dass ich die Ampel befragte.
“Iris wird im August 2009 sterben.” – Grün …
Ich brauche euch sicher nicht erzählen, dass mein Urlaub eine Katastrophe war. Und ich mehr als erleichtert, dass nach meiner Rückkehr Iris lebendig und halbwegs wohlauf in der Firma anwesend war. Ampel befragen – pah, absoluter Quatsch.
Und dann erzählte mir mein Kollege irgendwann im Dezember, dass er mir etwas sagen müsse. Zu dem Zeitpunkt war Iris schon in palliativer Obhut. Mein Kollege erzählte, dass Iris im August schon einmal dem Tod knapp von der Schippe gesprungen sei. Sie sei bereits klinisch tot gewesen und wiederbelebt worden …
Manche Menschen wünschen sich ja, einen Blick in die Zukunft werfen zu können. Ich weiß seither ganz sicher, dass ich das auf gar keinen Fall will. Auch die Ampel habe ich seither nie wieder befragt. Auch dann nicht, wenn ich etwas Schönes wissen wollte. Zu tief saß der Schock. Die Erkenntnis, dass ich meine Intuition offensichtlich noch auf ein ganz anderes Level heben könnte. Wenn ich wollte. Will ich aber nicht.
Ich denke, wir sind alle mit einer bestimmten Intuition ausgestattet. Die eine nutzt sie mehr als der andere. Übertreiben sollte man es nach meinem Empfinden allerdings nicht. Wie alles im Leben kann auch eine Gabe zu einem Fluch werden. Es gilt, die für sich richtige Balance zu finden. Sei einfach dankbar, wenn dir deine Intuition gute Dienste leistet und fordere nicht mehr heraus.
Diese Informationen gehören natürlich abschließend noch dazu:
Iris starb im März 2010
Das Geschäft schloss zum Dezember 2014 seine Türen.
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