Bücher, die mich begeistert haben. Mein Buchtipp 20 – Bullauge von Friedrich Ani
Friedrich Ani ist mir als Schriftsteller zwar nicht unbekannt, dennoch hatte ich zu meiner Schande bisher noch nie ein Buch von ihm gelesen. Das wollte ich jetzt nachholen und war fasziniert. So sehr, dass Bullauge von Friedrich Ani zu meinem Buchtipp 20 wurde.
“Lakonisch” schreibt Ani die Geschichte, stand in der Inhaltsbeschreibung, und das Wort beschreibt den Schreibstil auf den Punkt. Es finden sich wenig ausformulierte Sätze. Stattdessen lesen wir Gedankenfetzen, manchmal nur einzelne Worte, manchmal ohne korrekte Reihenfolge, ein bisschen wirr und konfus erscheint uns die Geschichte. Zumindest ging es mir am Anfang so, und trotzdem war da etwas, das mich fesselte und nicht mehr loskommen ließ. Was war da bloß los?
Auf der einen Seite ein gestandener Polizist, Kay Oleander.
Während einer Demonstration, bei der er mit seinen Kollegen für Ordnung sorgen sollte, geriet für einen winzigen Moment alles außer Kontrolle, und eine geworfene Bierflasche kostete Oleander das rechte Augenlicht. Zack – von einem auf den anderen Moment ist nichts mehr so, wie es war. Wer hatte Schuld? Wer hat geworfen? Wer kann zur Rechenschaft gezogen werden, und gibt es so etwas wie Gerechtigkeit überhaupt?
Auf der anderen Seite Silvia Glaser, eine ganz normale Bürgerin.
Jedenfalls bis sie auf ihrem Fahrrad fahrend vor Schreck über ein Polizeiauto – das direkt neben ihr die Sirene einschaltete – die Kontrolle über ihr Fahrrad verlor und einige Meter später in zwei parkende Autos stürzte. Zack – auch bei ihr war nach einem kurzen Moment nichts mehr, wie es zuvor war. Ein Stock ist ihr steter Begleiter geworden, ohne den sie nicht mehr gehen kann. Wer hatte Schuld? Für Silvia Glaser war es ganz klar die Polizei; für diese stellte sich die Situation bei weitem nicht als klar heraus. Frustriert über die scheinbare Willkür der staatlichen Organe flüchtet sie sich in eine Bürgerrechtsbewegung, die rechtspopulistisch ist und nimmt an oben genannter Demonstration teil, auf der Oleander sein Augenlicht verlor. Auf den Aufnahmen der Polizei ist auch sie zu erkennen, eine Bierflasche in der Hand haltend. Die Flasche ist heil und halb leer. Sie kann es nicht gewesen sein. Oder doch?
Friedrich Ani erzählt, wie diese zwei so unterschiedlichen Menschen aufeinandertreffen, sich vorsichtig annähern und den anderen verstehen können.
Sie fangen an, einander zu vertrauen und Silvia – der die rechtspopulistische Gruppe zunehmend unheimlich wird und sie Angst vor einem vermeintlich bevorstehenden Anschlag hat – zieht Oleander ins Vertrauen. Gemeinsam versuchen die beiden, wenigstens einmal in ihrem Leben alles richtig zu machen. Die jeweilige Schuld am Unglück des anderen – bedrückend gefühlt allein durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe – weniger belastend zu empfinden. Buße leisten zu können. Schlimmes verhindern zu können.
Ob es gelingt? Werde ich hier natürlich nicht verraten.
Nur eins: Am Ende hatte ich das dringende Bedürfnis, den Roman direkt nochmal zu lesen. Um festzustellen, ob ich es nicht hätte merken müssen. Es war doch zwischen den Zeilen alles da. Und manchmal sogar mittendrin. Wie ist es möglich, zu lesen ohne zu verstehen? Und geht es uns nicht allen so, dass wir gar nicht mehr genau hinhören und hinsehen, leise Zwischentöne gar nicht mehr wahrnehmen?
Bullauge ist für mich auch Appell dafür: Wachsamer zu sein. Aufmerksamer. Achtsamer. Ich befürchte, es ist heute wichtiger denn je …
Friedrich Ani ist ein deutscher Schriftsteller, der durch seine Kriminalromane um den Ermittler “Tabor Süden” bekannt wurde. Für seinen Roman “German Angst” erhielt Ani 2001 den erstmals ausgeschriebenen Radio Bremen Krimipreis.
Bildnachweis Lizenz erteilt von Suhrkamp
DANKE liebe Sabine, hab lange nicht in deinen Buchtipps gestöbert. BULLAUGE zeigt eine spannende Verknüpfung auf. DAS LEBEN bringt all die MOMENTE ins Spiel. Wir sind Protagonisten, verlieren vor lauter TUN das SEIN. Ich atme ganz tief, und tauche in meine neue Welt, die mich auch am Laufen hält 🙂 SELBSTGEWÄHLT, ohne Garantie, aber wieder ACHTSAM !
Das Leben steckt tatsächlich voller Möglichkeiten, im Guten wie im Schlechten. Ich finde es immer spannend, wenn ich in Büchern gezwungen werde, “um die Ecke zu denken”. Viel Spaß beim Lesen, liebe Claudia.