Gönnen können. Eine Frau schaut mit skeptischem Gesichtsausdruck nur scheinbar freundlich

Gönnen können

Gönnen können. Ist es nur ein Spruch unter vielen, deren tiefere Bedeutung wir missachten?

Die rheinische Redensart “me moss och jönne könne” kennen wir alle, aber können Rheinländer das wirklich besser als andere Bundesländer oder ist die katholische Prägung und damit die Tatsache, dass Neid zu den sieben Todsünden gehört, Grundlage für den bekannten Spruch? Fast neige ich, dem Glauben zu schenken, denn rate, was ich finde, wenn ich bei Google “Gönnen können” eingebe: Spiele, zig Spiele. Unglaublich. Was ist das also mit dem gönnen können? Müssen wir das erst spielerisch lernen?

Menschen, die nicht gönnen können

Diese Menschen gibt es durchaus, auch wenn niemand es öffentlich von sich selbst zugeben würde. Aber schauen wir genauer hin:

  • Dein reicher Nachbar gewinnt eine beträchtliche Summe im Lotto, derweil du selbst nicht immer weißt, wie du den Monat überleben sollst, ohne zu verhungern. Gönnst du dem Nachbarn seinen zusätzlichen Reichtum?
  • Dein Arbeitskollege wird befördert, obwohl du erstens schon viel länger im Unternehmen tätig bist und zweitens fachlich eindeutig besser qualifiziert. Allerdings bist du fatalerweise weiblich und Frau wird ja gern mal übersehen. Gönnst du dem Kollegen seine Beförderung?
  • Deine Freundin ist nach ihrer Trennung wieder frisch verliebt und strahlt mit der Sonne um die Wette, derweil du immer noch bittere Tränen vergießt und/oder wütend bist auf deinen Schuft von Exmann, ein neuer Held ist nicht in Sicht. Gönnst du deiner Freundin ihr Glück?

Selbstredend sind wir alle ganz wunderbare uneigennützige Menschen, die zu jeder Frage innerlich nicken. Was interessiert uns der Nachbar? Soll er doch an seinem Reichtum ersticken, Geld allein macht auch nicht glücklich. Und der Kollege? Ist doch ein netter Kerl, neulich wart ihr erst gemeinsam auf einen Absacker in der schnuckeligen Weinbar. Warum solltest du ihm diesen Erfolg missgönnen? Das wäre ja kleinlich und kleinlich, nein, das bist du weiß Gott nicht. Und erst die Freundin! Selbstverständlich wünschst du ihr nur das Allerbeste und freust dich aufrichtig mit und für sie. Was für eine Freundin wärst du sonst?

Und doch, und doch. Sind sie da. Die Fragen. Die Zweifel. Die Gefühle. Ungerechtigkeit, Zorn, Neid. Traurigkeit, Scham, Minderwertigkeitskomplexe. Denn jeder Erfolg, jedes Glück und jeder Verdienst, der anderen aber eben nicht dir widerfährt, zeigt dir: Du hast es entweder nicht verdient oder kein Glück. Du siehst nur, was dir fehlt, bist völlig auf den Mangel konzentriert und fühlst dich schlecht beim Glück von anderen. Gönnen können, pfft.

Warum gönnen können nichts ändert an deiner Situation

Dieser Blickwechsel könnte extrem hilfreich sein, falls dir gönnen können schwerfällt. Denn ob der Nachbar, der Arbeitskollege oder die Freundin nun dieses Glück haben oder nicht: Es ändert absolut nichts an deiner eigenen Situation. Du hast nicht mehr Geld, einen besseren Job oder einen tollen neuen Partner, wenn dein Nachbar nicht im Lotto gewinnt, dein Kollege nicht befördert wird und deine Freundin Single bleibt. Deren Glück hat mit deinem eigenen Glück oder Unglück absolut nichts zu tun. Lass dir den Satz auf der Zunge zergehen, verinnerliche ihn, er ist wichtig. Für dich und dein eigenes Leben.

Wie du gönnen können üben kannst

Fang doch einfach mal bei dir selbst an. Denn dieses nicht gönnen können hat etwas mit Unzufriedenheit zu tun. Wer nämlich mit sich und seinem Leben zufrieden ist, kann anderen viel leichter etwas gönnen. Glaub auch nicht, dass du dazu erst reich und erfolgreich und auf Händen getragen werden musst. In deinem ganz privaten eigenen Leben kannst du selbst eine Menge für deine eigene Zufriedenheit tun. Ich selbst habe ich mir zum Beispiel angewöhnt, bei Rechnungen, deren Wert ich momentan nicht brauche, um mir das Essen für morgen kaufen zu können, etwas Besonderes zu leisten. Derzeit sitze ich glücklich auf meiner Moizi Stehhilfe und tippe diesen Blog Beitrag. Bekommen habe ich sie als Lohn für meine erste Arbeit als Texterin, weil ich damals den Wert meiner eigenen Arbeit noch gar nicht in Zahlen ausdrücken konnte. Und wenn ich später eine Runde auf dem Fahrrad drehe, denke ich dabei immer an jenen Kunden, durch dessen unverhofften Auftrag ich mir eben dieses Fahrrad gegönnt habe. Der monetäre Wert wäre längst vergessen, die physischen Produkte erfreuen mich seit Jahren und tragen immer noch zu meiner Zufriedenheit bei.

Was passiert, wenn du gönnen können wirklich lebst

Wenn du anderen wirklich von Herzen gönnen kannst, wird dein Leben nicht ärmer, sondern reicher. Zum einen macht aufrichtige Freude immer glücklich, auch wenn es die Freude für andere ist. Zum anderen mögen Menschen andere Menschen, die sich aufrichtig mit ihnen freuen. Das ist spürbar und sie bewundern dich dafür. Vielleicht, weil es ihnen selbst daran mangelt; vielleicht, weil sie wissen, dass du es mindestens ebenso sehr verdient hättest. Es macht etwas mit ihnen und lässt sie dich nicht vergessen. Es mag eine Weile dauern, aber du wirst merken, dass du etwas zurückbekommst. Ohne Bedingung, aus ganzem Herzen, unbezahlbar, einzigartig, berührend und manchmal sprachlos machend. So dass du dich unwillkürlich fragst: “Womit habe ich das verdient?” Frag nicht. Wisse: Selbstverständlich hast du das verdient. Wir alle verdienen alles, wir dürfen es nur zulassen und uns gegenseitig gönnen.

Bildnachweis Canva

2 Gedanken zu „Gönnen können“

  1. Wie immer wunderbar geschrieben.
    Mit dem Gönnen Können habe ich ja an sich kein großes Problem.
    Ich ertappe mich eher dabei, wenn ich mich gerade noch rechtzeitig mit einem “Mache es nicht. Bringt schlechtes Karma.” einfange, bevor ich einem bösen Menschen gönne, ihn / sie möge der Blitz bei der Notdurft treffen. 😉

    1. Lieber Patrick.
      auch das ist gönnen können. Nämlich dir selbst. Gute Gedanken für gutes Karma. wenn böse Gedanken dich in Versuchung führen. Es ist die höchste Form des gönnen können, dieser Versuchung zu widerstehen.

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