Bin ich ein guter Mensch. In der Mitte steht eine Frau. Von rechts flüstert ihr ein Teufel und von links ein Engel etwas ins Ohr.

Bin ich ein guter Mensch?

Stellen sich diese Frage – “bin ich ein guter Mensch?” tendenziell eher gute oder eher schlechte Menschen? Und was ist überhaupt ein guter Mensch?

Ich bin mir wirklich unsicher, ob es tatsächlich Menschen gibt, die von sich selbst denken: “Oh je, ich bin wahrlich ein schlechter Mensch.” Obwohl … Wenn Scham einen überfällt, blitzt der Gedanke schon mal auf, oder nicht? Aber so im Großen und Ganzen betrachtet, denkt doch wohl jeder Mensch von sich, er sei gut, meint es grundsätzlich gut und wird allenfalls falsch verstanden, wenn andere glauben, er oder sie handele nicht aus guten Gründen. Wenn aber jeder Mensch das von sich denkt, wären ja alle gleich gut. Ist das so? Bist du ein guter Mensch? Bin ich ein guter Mensch?

Die ehrliche Antwort: Ich weiß es nicht.

Zum Nachdenken bringen mich stets Bücher, in denen Menschen etwas objektiv betrachtet Schlechtes tun, damit aber Gutes im Sinn hatten, und der Autor es schafft, dass ich diese Romanfigur verstehe. Sie sogar ins Herz schließe. Trotz der bösen Dinge, die sie tut. Wie ist das möglich, und warum ist das kein Widerspruch in sich?

Weil ich nie wissen kann, wie ich reagiert hätte, wäre ich in der Situation gewesen.

Es ist leicht, sich wie ein guter Mensch zu fühlen, wenn du in einer Zeit lebst, die dich nicht großartig herausfordert. Kein Krieg im eigenen Land, der dich zwingt, eine Partei zu ergreifen. Kein Regime, das dich tötet, wenn du das falsche sagst oder anziehst. Keine Armut, die dich vor die Wahl stellt, ob dein Überleben wichtiger ist als das aller anderen.

Bin ich ein guter Mensch? In guten Zeiten eine einfachere Frage als in schlechten Zeiten …

Dieses sich selbst fragen – wie hätte ich gehandelt, wäre ich in genau dieser Situation gewesen? – ist ein gutes Mittel, um sich vor allzu schnellen Urteilen zu hüten. Es setzt ein sich-hineinversetzen-können in eine andere Person voraus. Eine Vorstellungskraft von uns selbst in anderer Situation. Einen anderen Blickwinkel. Oft begleitet von wachsendem Verständnis, so widersprüchlich es sich auch bisweilen anfühlen kann.

Bevor dies gelingen kann, hilft es – wie bei so vielem – im Kleinen zu üben. Gelegenheiten gibt es wie Tropfen im Meer. Beispiele? Gern!

  • Die Nachbarin, die uns nicht grüßt, diese doofe Nuss. Meint wohl, sie wäre was Besseres.
  • Der Autofahrer, der beim grün der Ampel nicht in die Pötte kommt und vor sich hinträumt. Aufwachen Mann, hat ja nicht jeder so viel Zeit wie du.
  • Der Kollege, der eine Verabredung nicht einhält und sich noch nicht einmal meldet. Na, der kann mich mal kreuzweise.

So schnell ist unser Urteil gefällt, und so oft liegen wir mit unserer Einschätzung der Situation völlig daneben.

  • Die Nachbarin ist auf dem Weg zur Arbeit und hat heute ein Gespräch mit ihrem Chef. Voller Angst vor einer Kündigung kreisen ihre Gedanken um die Zukunft. Ihre Umwelt nimmt sie nicht wahr.
  • Der Autofahrer hat trotz seiner Medikamente eine kleine Panikattacke und bemüht sich, mit Hilfe seiner Atmung wieder handlungsfähig zu werden. Nur noch ein paar Atemzüge, dann geht es bestimmt wieder.
  • Der Kollege musste sein Kind ins Krankenhaus bringen, nachdem es von der Schaukel gefallen und sich am Kopf böse verletzt hat. Vor lauter Sorge um sein Kind hat er alles andere völlig vergessen.⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀

Wir schauen einem Menschen immer nur vor den Kopf, nicht hinein. Und trotzdem glauben wir zu wissen, warum jemand sich so benimmt, wie er es gerade tut. Gleichzeitig erwarten wir von unserer Umwelt, dass sie unsere Handlungsweisen jederzeit komplett nachvollziehen können. Allein aus dem Grund, weil sie für uns so logisch sind. Paradox, nicht wahr? ⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀⠀

Wenn wir von unserer Umwelt Verständnis erwarten, ist es ein erster Schritt, selbst verständnisvoller mit seiner Umwelt umzugehen. Und dazu gehört auch, mit seinen eigenen Urteilen etwas weniger vorschnell zu sein. Verständnis kommt von verstehen. Erst wenn wir etwas wirklich verstanden haben, können wir Verständnis zeigen.

Mit dem Verständnis einher geht allerdings auch die Schwierigkeit einer Beantwortung der Frage: “Bin ich ein guter Mensch?”

Um sie für dich beantworten zu können, mach dir folgendes klar: Solange du in vergleichsweise guten Zeiten lebst, tu dir selbst einen Gefallen und lebe so, dass dir ein schlichtes “ja” möglichst leicht über die Lippen kommt. Und lasst uns alle miteinander hoffen, dass wir schlechtere Zeiten nicht erleben müssen. Und schon mal gar nicht unser Bild von uns selbst revidieren müssen …

Bildnachweis Canva

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