Bücher sind – auch – Zeitdokumente. Sie wurden zu einer bestimmten Zeit geschrieben und spiegeln deren Sprache sowie deren Ideologie. Meine Bitte: Hände weg von Büchern.
Ob Rassismus, Sexismus oder fehlende Diversität: Mir gehen die Bestrebungen, alte Bücher wegen ihres Inhalts und/oder ihres Covers umzuschreiben, zu weit. Deutlich zu weit. Die diesbezüglichen Rufe und Begründungen strotzen nur so vor Beleidigungen in Richtung Autoren und/oder Verlagen. Es mutet wie eine Bücherverbrennung an und erinnert mich auf ungute Weise an das bereits 1953 geschriebene Werk von Ray Bradbury “Fahrenheit 451”, in dem tatsächlich alle Bücher verboten sind und verbrannt werden. Eine Dystopie, die bitte nie Wirklichkeit wird. Hände weg von Büchern!
Zeiten ändern sich und mit ihnen auch die Sprache.
Das ist auch völlig in Ordnung. Nicht in Ordnung finde ich hingegen, wenn Sprache – und damit auch Zeit – einfach wegradiert werden soll. Nur weil es heute ein “Geschmäckle” hat. Als Kind bin ich zum Beispiel nach erfolgreicher Hausarbeit zur Belohnung in den Tante Emma Laden gefahren und habe mir für 10 Pfennig einen Mohrenkopf gekauft. Ist das nicht unerhört, das so zu schreiben? Heute ja. Damals nicht. Da war es normal. Keiner hat sich etwas dabei gedacht. Wie würde es wirken, wenn ich euch erzähle, dass ich im Jahr 1970 für 0,05 Euro einen Schaumkuss gekauft habe? Skurril, oder? Denn weder Euro noch einen Schaumkuss gab es zu der Zeit. Geschichten und ihre Begriffe sind in eine Zeit integriert und dürfen deswegen für mich gern so bleiben. Insbesondere in Büchern.
Nur drei Beispiele, die mich doch sehr erschüttert haben:
Nehmen wir die wunderbare Astrid Lindren, deren Bücher uns wohl alle in der Kindheit begleitet haben. Pippis Vater war zum Beispiel der Negerkönig, mittlerweile ist er zum Südseekönig umgeschrieben worden. Und ich begreife diese Notwendigkeit einfach nicht. Alte Bücher – Klassiker! – umzuschreiben.
“Dass rassistische Wörter vom Oetinger Verlag entfernt wurden, begrüßt auch C. Vollmer sehr. Sie hat die Hoffnung, “dass sie sich rausschleichen, dass dieser Wortschatz nicht mehr existent ist.”
Ja aber – dieser Wortschatz WAR existent. Und nur, weil das so war, ist unsere heutige Entwicklung überhaupt entstanden. Wie kann sie – diese Entwicklung – denn sichtbar bleiben, wenn wir unsere Vergangenheit ausradieren, als nicht existent abschreiben? Wie glaubwürdig ist das denn? Wollen wir uns selbst etwa weismachen, dass wir schon immer so klug und tolerant waren wie heute? Das ist ja zum Lachen und absolut albern. Wer würde das glauben? Also ich nicht.
Weiter geht`s mit Janosch, also Horst Eckert, der 1931 geboren wurde und dessen Illustrationen und Geschichten wohl auch jeder kennt. Hier konnte ich im privaten Umfeld live erleben, dass eine seine Schnuddelbuddel-Geschichten “frei” vorgelesen wurde. Statt: “Jeden Morgen geht Schnuddel-Papa zum Arbeiten, weil er der Vater ist” geht er jetzt einfach nur noch zum Arbeiten. Denn immerhin gehen heute ja erstaunlicherweise auch Frauen arbeiten. Ergo geht so eine Bemerkung überhaupt nicht mehr. Meine Güte. Manchmal frage ich mich wirklich, ob Menschen nichts Besseres zu tun haben, als in alten Kinderbüchern nach sprachlichen Ausrutschern zu suchen und gar zu befürchten, sie würden sich unheilvoll auf das geistige Wohl ihres Kindes auswirken, wenn sie nicht zeitgemäß angepasst würden.
Letztes Beispiel: ein Sachbuch aus dem Jahr 2008. Es geht um Mathematik und deren Anwendbarkeit in realen Situationen des Lebens. Hier war es das Cover, das einen Sturm der Entrüstung nach sich zog. Denn zu sehen war auf ihm ein Mann, dessen Fokus mit zu berechnenden Winkeln auf die hübschen Beinen der Frau davor gerichtet war. Ich war wirklich entsetzt über die Kommentare, die hier fielen. “Misogyne sexistische Scheiße” war nur einer von vielen. Wen es interessiert, dem verlinke ich gern den betreffenden Beitrag, denn auch der Autor hat sich erfreulicherweise zu Wort gemeldet.
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Mein Fazit zur Bitte: Hände weg von Büchern
Jede Zeit hat ihre eigenen Anschauungen und es ist gut, dass diese sich ändern und weiterentwickeln. Im besten Fall positiv. Deshalb darf auch gern ein Programmheft des evangelischen Kirchentages in Stuttgart über „Saalmikrofoninnen und -mikrofone“ schreiben. Was die nach uns folgenden Generationen dann einmal über uns denken, sei ihnen erlaubt.
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