Coverbild zum Buch von meinem Buchtipp 36 - Mandel

Buchtipp 36 – Mandel

Bücher, die mich begeistert haben. Mein Buchtipp 36 – Mandel

Eine zu klein geratene Amygdala und daraus resultierend die Unfähigkeit, menschliche Emotionen zu lesen, “normal” darauf zu reagieren oder sie gar zu fühlen. Fachbegriff: Alexithymie. Beides hatte ich noch nie gehört und war allein deswegen fasziniert. Die Lektüre hat mich auf eine emotionale Achterbahnfahrt geführt. Noch nie habe ich so lange über ein Buch nachgedacht. Noch nie war ich so dankbar für meine Fähigkeit zu fühlen – auch was weniger angenehme Gefühle wie Trauer oder Schmerz betrifft. Mein fast schon dringlicher Buchtipp 36 – Mandel.

Klappentext zum Buch

Eine ergreifende Geschichte darüber, wie Liebe, Freundschaft und der Mut, sich anderen zu öffnen, ein Leben für immer verändern können. Der Junge Yunjae ist ein Außenseiter. Eine angeborene Erkrankung macht es ihm schwer, Gefühle wie Angst, Freude oder Wut zu empfinden. Als er von einem Tag auf den anderen auf sich allein gestellt ist, wächst er über sich hinaus, schließt überraschend Freundschaft und weckt Kräfte in sich, die er nie für möglich gehalten hätte … 

Meine Eindrücke vom Buch: Mandel

Schwer nachzuvollziehen, dass ein Mensch beim Anblick der Ermordung seiner Oma und einer Mutter, die durch diese Gewalttat ins Koma fällt, nichts fühlen kann. Und doch erlebt es der junge Yunjae genau so: Er sieht zu. Er begreift, dass beide nicht mehr für ihn da sind. Er ist auf sich allein gestellt, diese Tatsache begreift er. Fühlen tut er nichts. Yunjae würde auf einer Straße stehen und ein Fahrzeug auf sich zurollen sehen und keinen Schritt ausweichen. Er spürt keine Furcht und hat nicht das geringste Gespür für eine drohende Gefahr. So einer ist Yunjae. Ein Monster. Seine Worte, nicht meine.

Und dann gibt es da Gon. Einen Jungen, der neu in Yunjaes Klasse kommt und völlig anders ist. Prallvoll mit Gefühlen, die ihn regelrecht explodieren lassen. Voller Zorn und Wut, die sich in Gewalt äußert. Schlimmer Gewalt. Alle haben Angst vor Gon. Nur Yunjae nicht. Das begreift Gon nicht und veranlasst ihn, Yunjae um jeden Preis etwas fühlen zu lassen. Vergeblich. Auch Gon ist ein Monster. Yunjaes Worte, nicht meine.

Monster sind beide, weil sie beide weitab gesellschaftlicher Normen reagieren. Dann fallen solche Bezeichnungen schneller, als bei manchen Fäuste fliegen können oder bei anderen Blut fließen kann. Was aber ist mit uns “Normalos”? Wie kann es sein (das fragt sich zum Beispiel Yunjae), dass wir uns lächelnd einer Person zuwenden, die den Raum betritt, obwohl wir Sekunden vorher den Blick auf den Fernseher gerichtet hatten, in dem Menschen andere Menschen quälten oder töteten? Zu weit weg?

“Die Menschen schauen weg, wenn ein Unglück weit entfernt ist, sie sagen, da könne man nichts machen, schreiten aber auch dann nicht ein, wenn etwas in ihrer Nähe geschieht, weil sie zu verängstigt sind. Die meisten Menschen schritten nicht ein, obwohl sie etwas empfanden, sie sagten, sie empfanden Mitleid, vergaßen es aber leicht. So, wie ich es sehe, war es nicht real. So wollte ich nicht leben.”

Dass ausgerechnet Yunjae und Gon Freunde werden und dass ausgerechnet Yunjae den größten Liebesbeweis für Gon antritt, ist derart schmerzlich zu lesen, dass ich mich unwillkürlich gefragt habe, ob unsere Angst uns auch davor schützt, derart selbstlos zu lieben. Ob es ein “zu viel des Guten” auch in der Liebe geben kann. Ich weiß es nicht. Genauso wenig wie ich weiß, ob es möglich ist, einen Menschen einfach so anzunehmen, wie er ist. Auch wenn er nicht den eigenen Erwartungen entspricht. Bei eigenen Kindern setzen wir das voraus, aber selbst da stimmt es nicht immer. Wie viel Beschränktheit wir alle miteinander in uns tragen! Auch die Autorin kennt diese Fragen und Zweifel. Diese Zweifel führten zur Entwicklung zweier Figuren, die sie fragen ließ:

“Könnte ich sie lieben, wenn sie meine Kinder wären? So entstanden Yunjae und Gon.”

Über die Autorin

Won-pyung Sohn ist eine Filmregisseurin, Drehbuchautorin und Romanautorin aus Südkorea. Mandel« ist ihr literarisches Debüt und wurde dort zu einem überragenden Erfolg. Dieser Siegeszug wird sich hundertprozentig nun auch bei uns fortsetzen. Seit dem 15. Oktober dieses Jahres ist das Buch auch hier erhältlich.

Bildnachweis Lizenz erteilt vom Blumenbar Verlag

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