Nicht jeder Mensch will, was du willst: Lernen wir, Grenzen anderer zu respektieren.
Eigene Grenzen zu akzeptieren und anderen gegenüber zuzugeben fällt den meisten schwer, Grenzen anderer zu respektieren noch viel mehr. Kaum ein Mensch versteht, wozu Grenzen gut sein sollen. Sie werden per se mit Schlechtem assoziiert. Grenzen grenzen aus. Sie behindern und blockieren. Sie müssen aus dem Weg geräumt und niedergerissen werden. Grenzen gilt es zu überwinden, nur so ist Wachstum möglich. Grenzen sind limitierend, und sich einengen lassen – nein, das wollen wir nicht.
Grenzen überschreiten ist übergriffig.
Es sind besonders die super Erfolgreichen und super Selbstbewussten, die uns ungefragt und unerbeten überzeugen wollen, dass wir nur dies und das tun müssen, um noch erfolgreicher, glücklicher, wohlhabender zu werden und generell ein besseres Leben führen zu können. Das bringt mich zunehmend auf die Palme. Denn wer bist du, dass du dir dieses Urteil über mich erlaubst? Und wer wäre ich, würde ich dir zu verstehen geben, dass dir ein bisschen mehr Demut auch gut zu Gesichte stünde?
Das ist schlichtweg übergriffig, und ich mag es weder bei mir noch bei anderen. Ertappe ich mich selbst bei diesem schändlichen Verhalten, entschuldige ich mich aufrichtig – und bin mir selbst auch nach angenommener Entschuldigung noch tagelang böse. Denn gerade ich weiß, wie wichtig mir meine Grenzen sind. Und bin bestrebt, die anderer stets zu respektieren.
Neulich las ich einen interessanten Beitrag, in dem ein Mensch seine Erlebnisse auf Reisen schilderte und mit Bildern dokumentierte. Bei Berichten dieser Art hab ich immer ein leicht zwiespältiges Gefühl: Ich freue mich aufrichtig für den anderen Menschen; ich bin ein bisschen wehmütig, weil mir dieses Erlebnis unmöglich ist. Ich fühle mich außerhalb meines Zuhauses unwohl. Gelinde ausgedrückt. Aber das soll hier reichen. Und ich vermute, ich bin nicht allein. Wobei es ja unterschiedliche Gründe geben kann, warum Menschen nicht reisen. Es könnten auch schlichtweg finanzielle Gründe sein.
Wie dem auch sei – ich hinterlasse einen Kommentar als Antwort, mit dem ich diesen Menschen ein bisschen Inspiration schenken will, eine andere Möglichkeit aufzeigen will. Ich schreibe also: “Ich gönne mir den Spaß manchmal auf Google Earth. Bestimmt nicht so toll wie die Realität, aber für Schneckenhaus-Menschen eine tolle Alternative.” Und bekomme als Antwort: “Die Realität ist besser als das virtuelle Schneckenhaus.” Na super! Das weiß ich – und andere – auch, und ist nun wirklich wenig hilfreich. Grenzen anderer respektieren …
Wer seine eigenen Grenzen kennt, kann bewusst die Linie überschreiten. Wird es zu viel, kann jederzeit der Schritt zurück gemacht werden, denn die Grenzlinie ist klar erkennbar.
Wer seine eigenen Grenzen nicht kennt, wandert stetig voran. Und findet sich mitunter in unwegsamen Gelände wieder, aus dem kein klarer Weg zurück mehr ersichtlich ist. Ohne eine Ahnung, wie man hierher gekommen ist. Verloren und verwirrt verharrt. Orientierungslos.
Für mich bedeuten Grenzen Sicherheit. Sie geben mir ein gutes Gefühl. Und ich weiß, dass ich sie überschreiten kann. Wenn ich will, oder wenn die Situation es erfordert. Ich kann es, mit Hilfe oder ohne, und wenn ich Hilfe brauche, hole ich sie mir, ich möchte sie aber nicht aufgedrängt bekommen. Meine Grenzen sind keine starre Mauer, sie sind eher eine blühende Hecke. Sie ist so hoch oder so niedrig, wie es mir gefällt. Hat den richtigen Abstand und erlaubt den richtigen Blick darüber. Ich verliere die Orientierung nie aus den Augen.
Wenn du also zu den Unverbesserlichen gehörst, die anderen Menschen das Leben erklären und erleichtern möchten, warte doch erst einmal ab, ob dein Gegenüber überhaupt das Bedürfnis hat. Das, was du als Gefängnis ansiehst, kann für einen anderen eine Höhle voller Geborgenheit sein. Und das, was du als grenzenlose Freiheit empfindest, kann sich für dein Gegenüber wie ein freier Fall anfühlen. Es gibt viele Grenzen. Nicht alle sind schlecht. Halten wir uns das möglichst oft vor Augen. Und handeln entsprechend.
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