Bücher, die mich begeistert haben. Mein Buchtipp 30 – Die spürst du nicht
Daniel Glattauer hat ein Buch geschrieben, dass ich kaum aus der Hand legen konnte. Allein der Einstieg: “Wir sehen einen gedeckten Terrassentisch … jetzt lernen wir die Urlaubsgäste kennen …” Glattauers Art, Ort und Personen seines Romans wie Theaterfiguren vor uns lebendig zu machen, zieht uns mitten rein in das Geschehen. Als stiller Beobachter, unsichtbar hinter einer Hecke verborgen. Da verharren wir. Regungslos, sprachlos, fassungslos. Wir fühlen mit und spüren alles: in meinem Buchtipp 30 – Die spürst du nicht.
Klappentext zum Buch “Die spürst du nicht”
Die Binders und die Strobl-Marineks gönnen sich einen exklusiven Urlaub in der Toskana. Tochter Sophie Luise, 14, durfte gegen die Langeweile ihre Schulfreundin Aayana mitnehmen, ein Flüchtlingskind aus Somalia. Kaum hat man sich mit Prosecco und Antipasti in Ferienlaune gechillt, kommt es zur Katastrophe.
Was ist ein Menschenleben wert? Und jedes gleich viel? Daniel Glattauer packt große Fragen in seinen neuen Roman, den man nicht mehr aus der Hand legen kann und in dem er all sein Können ausspielt: spannende Szenen, starke Dialoge, Sprachwitz. Dabei zeichnet Glattauer ein Sittenbild unserer privilegierten Gesellschaft, entlarvt deren Doppelmoral und leiht jenen seine Stimme, die viel zu selten zu Wort kommen.
Was besonders ist am Buch “Die spürst du nicht”
Das Unglück passiert gleich am Anfang, da werden wir nicht lange auf die Folter gespannt. Indes – das eigentliche Unglück entwickelt sich erst im Nachhinein. In den Reaktionen aller am Ort des Geschehens Beteiligten. In der Tatsache, dass es – wäre nicht eine Politikerin und ein renommierter Winzer beteiligt gewesen – allenfalls eine kurze Randnotiz wert gewesen wäre. So allerdings ist das öffentliche Interesse erwacht, das der Medien ohnehin. Es folgt eine Pressemeldung nach der anderen, inklusive daraus resultierenden Postings mit Antworten. Und genau diese Postings inklusive Antworten sind auf der einen Seite sehr schwer zu lesen und auf der anderen Seite wissen wir: ja, so ist das, genau so.
Das eigentliche Unglück wird völlig an der Rand gedrängt und diverse Nebenschauplätze eröffnet. Nichts aus der Palette dessen, worüber Menschen sich die Köpfe einschlagen können, bleibt unerwähnt. Rassismus, Diskriminierung, Neid, Politik, Verantwortung … Kaum etwas hat unmittelbar mit dem Fall selbst zu tun: Ein Kind ist ertrunken. Nur weil es ein Flüchtlingskind war und unter der Obhut einer Politikerin – die für das Amt der Umweltministerin kandidiert – stand, bekommt eine Katastrophe eine pikante Note, die die Gemüter erhitzt. Die beiden Familien sehen sich einem Ansturm der Presse gegenüber und wissen nicht mehr ein noch aus, jeder ist vorrangig mit sich selbst beschäftigt. Derweil die Familie des ertrunkenen Mädchens – Aayana – unsichtbar bleibt. Wen interessiert schließlich, wie es “denen” geht.
Präziser kann kaum mit dem Finger auf eine kranke Gesellschaft gezeigt werden. Ein Buch zum Nachdenken …
Über den Autor
Daniel Glattauer ist ein österreichischer Schriftsteller und Journalist. Bekannt wurde er vor allem durch seine humorvollen Kolumnen. Der Durchbruch kam mit dem Roman “Gut gegen Nordwind”, der im Jahr seiner Veröffentlichung für den deutschen Buchpreis nominiert wurde. Sein außergewöhnlicher Sprachwitz schimmert selbst im ernsten Thema des hier besprochenen Buches durch, ohne fehl am Platz zu wirken. Im Gegenteil. Chapeau!
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