Bücher, die mich begeistert haben. Mein Buchtipp 23 – Über Menschen von Juli Zeh
Von der Autorin habe ich schon mehrere Bücher gelesen und war sicher, auch dieses ist bestimmt gut. Meine hohe Erwartung wurde indes sogar übertroffen – Über Menschen von Juli Zeh ist ein ganz und gar wunderbares Buch, das in unserer aktuellen Zeit spielt und uns deutlich vor Augen führt, dass längst nicht alles so ist, wie es scheint. Menschen schon mal gar nicht …
Kurzer Auszug zum Inhalt
Die Protagonistin Dora flieht aus der Großstadt aufs Land. Alles wurde ihr in den letzten Jahren zu viel. Ihr Freund, der immer extremer zum Klimaaktivisten wird. Corona, dessen Auswirkung Menschen über Wochen hinweg auf engstem Raum zusammen zwingt. Aktuelle Nachrichten, die immer düsterer werden und Meinungen, die immer verhärteter aufeinanderprallen. Konstruktive Diskussionen, Toleranz und ein “sowohl als auch” gibt es nicht mehr. “Entweder oder” scheint die neue Devise zu sein, die allen – die weiterhin offen durchs Leben gehen wollen – förmlich die Luft abschneidet.
Also zieht Dora mit ihrer Hündin aufs Land. Nach Bracken, einem kleinen Dorf im brandenburgischen Nirgendwo, ausgerechnet. Aber hier steht das Haus, in das sie sich verliebt hat, das Grundstück ist groß genug, um allen aus dem Weg zu gehen, und Dora ist zuversichtlich: Hier kann sie aufatmen und zur Ruhe kommen. Was sie völlig unterschätzt ist die Tatsache, dass sich aus dem Weg gehen und in einem Dorf leben, praktisch unmöglich ist. Sie lernt andere Menschen kennen und manche von ihnen fürchten. Ihren Nachbarn zum Beispiel, der sich Dora mit den Worten: “Gote. Ich bin der Dorf-Nazi” vorstellt.
Über Menschen – passender hätte der Titel des Buches nicht sein können
Ob es nun um Gote oder andere schräge Typen im Dorf geht; ob Rassismus, Sprache, Vorurteile oder vermeintliche Überzeugungen angesprochen werden – Menschen sind derart vielschichtig, dass sie sich selten auf nur eine “Rolle” definieren lassen. Allein während des Lesens wechselt die eigene Einstellung und lässt Mauern bröckeln. Wie sonst ist zu erklären, dass ich weinte, weil der Dorf-Nazi starb? Ich mag doch solche Menschen gar nicht, verurteile sie sogar.
Und doch: Gote ist mir irgendwie zu nah gekommen. Ich hab gesehen, was er außerdem noch ist oder vielmehr, was er im Kern ist – ein Mensch. Und wenn du dieses Buch liest, versuch doch, ganz ungerührt diese Passage zu lesen und zu denken: “Ok, einer weniger, passt schon.” Dann kannst du wahrscheinlich stolz darauf sein, ein Mensch mit einer Haltung zu sein, mit einer klaren Haltung, die durch nichts ins Wanken gebracht werden kann. Braucht es ja auch in dieser Welt. Oder nicht? Ich weiß es nicht.
Wenn es dir aber so geht wie mir, dass auf einmal alles bröckelt, nichts mehr absolut sicher ist und eine Haltung nur so lange Bestand hat, wie sie mit größtmöglicher Entfernung und größtmöglicher Distanz vom heimischen bequemen Sessel aus geäußert werden kann – Wenn dir der Mensch, den du verurteilst, nicht urplötzlich als Nachbar gegenüber gesetzt wird – Wenn du trauerst, fragst und zweifelst und nachdenkst – dann schäm dich nicht!
Du bist nur ein orientierungsloser kleiner Mensch – und damit bist du wahrscheinlich nicht allein. Und wenn ich es mir richtig überlege, ist das vielleicht gar nicht das Schlechteste …
Juli Zeh ist eine deutsche Schriftstellerin, Juristin und ehrenamtliche Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg. Ihre Werke zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Finger direkt in die Wunden unserer Gesellschaft legt. Dies aber auf eine Weise, die zwar nichts beschönigt, aber immer Hoffnung anklingen lässt. Im eigenen Bewusstsein. Als ein Mensch unter vielen, der einen Unterschied machen kann. Mögen ihre Bücher von vielen Menschen gelesen werden …
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