Bücher, die mich begeistert haben. Mein Buchtipp 17 – Elefant von Martin Suter
Stell dir vor, du wirst wach und siehst einen rosaroten Elefanten. Gerade einmal zwanzig Zentimeter hoch, aber davon abgesehen ein echter Elefant. Nur rosa. Klein. Und im Dunkeln leuchtend. Wetten, du glaubst, jetzt ist es soweit? Ich werde verrückt! Erst recht, wenn du ein Mensch bist, der am Rand der Gesellschaft lebt, obdachlos, ohne Sinn und Plan durch jeden öden Tag und vor lauter Langeweile mehr Alkohol konsumierst, als dir gut tut. So ein Mensch ist Schoch im Buch “Elefant” von Martin Suter.
Doch den kleinen rosa Elefanten gibt es wirklich.
Er ist Resultat von Forschungsarbeit, Spezialgebiet Gentechnologie. Menschen probieren ja gern aus, was alles möglich ist. Egal bei was, für wen oder zu welchem Zweck. Natürlich stehen vordergründig wichtige Erkenntnisse im Raum – Krankheiten können einfach wegradiert werden, indem das entsprechende Gen ein wenig manipuliert wird. Ein Handicap? Ach geh, auch das kann weggeforscht werden. Der Mensch muss kein Wunder der Natur mehr bleiben, er kann berechenbares Wunder von Technologie werden. Wer könnte da mit Skepsis reagieren? Hinterwäldler nur.
Was ist gentechnologisch möglich? Könnte es rosarote leuchtende Elefanten wirklich geben?
Im Buch wird der Prozess dieser Möglichkeit derart realistisch geschildert, dass ich mich wirklich nicht wundern würde, wenn ich morgen einen rosaroten kleinen Elefanten zu Gesicht bekäme. Ich gebe auch zu, ich wäre ähnlich verzaubert und entzückt wie Schoch – der Obdachlose im Buch – es ist. Und würde wie er – zusammen mit der Tierärztin und dem burmesischen Elefantenflüsterer – dafür sorgen, dass so ein Wesen nicht in die Hände derer fällt, die es erschaffen haben. Als Spielzeug für die Kinder der Reichen, die schon alles haben. Als Reputation für sich selbst und seine Forschung. Als Katapult für finanziellen Reichtum und wissenschaftliche Anerkennung. Ethische Bedenken? Pah!
Komplett verliebt in dieses kleine Wesen namens Sabu Barisha habe ich das Buch an einem Wochenende verschlungen. Und bin so manches Mal in tiefes Nachdenken versunken. Denn Sabu Barisha ist nicht nur niedlich und muss sich knuddeln lassen, wann immer Mensch es danach gelüstet, nein, Sabu fordert auch Respekt. Er mag zwar klein sein, aber er fühlt sich wie ein großer Elefant. Und so stellt er sich breitbeinig hin, klappt die Ohren weit auseinander und richtet seinen Rüssel auf. “So klein er auch war. Er wirkte richtig bedrohlich.”
Was ist das bloß mit uns Menschen, dass wir körperliche Größe mit geistiger Größe gleichsetzen? Wie kommt es, dass wir “kleines” mitleidig von oben herab anschauen und uns im wahrsten Sinne des Wortes erhaben fühlen? Wie kommt es, dass wir zu Menschen aufschauen, die im wahrsten Sinne des Wortes kleingeistig sind? Warum schauen wir nicht genauer hin und erkennen ein Wunder, wenn es vor uns steht? Mag es auch noch so klein oder noch dazu rosa, lila oder gescheckt sein?
Ein bisschen mehr Respekt täte uns allen gut. Für alle Lebewesen, ob Mensch, Tier oder Pflanze. Ob klein oder groß, bunt oder uni, normal oder außergewöhnlich. Und wenn`s nach mir geht, missbrauchen wir auch niemals unsere Möglichkeiten in der Forschung für Eingriffe in unsere DNA. Es mag vielleicht viel Heil in die Welt bringen, es kann aber auch sehr viel Unheil daraus entstehen. Mutter Natur ist unsere beste Lehrerin, auch wenn manche Lektionen uns nicht schmecken. Werden wir nicht so arrogant, es besser wissen zu wollen als sie.
Martin Suter ist ein Schweizer Schriftsteller, der seit 1991 als Autor arbeitet. Seinen Durchbruch erzielte er 1997 mit dem Roman “Small World” und hat mich damit als treuen Fan gewonnen. Suter wurde im Januar 2011 vom Schweizer Fernsehen als regelmäßiger Bestsellerautor und erfolgreichster Schriftsteller der Schweiz mit dem Swiss Award 2010 in der Kategorie Kultur ausgezeichnet.
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