Bücher, die mich begeistert haben. Mein Buchtipp 21 – Heimweh von Graham Norton
Heimweh ist etwas, das mich zurzeit sehr beschäftigt. Wohl vor allem deshalb habe ich zu diesem Buch gegriffen, nichts Besonderes erwartend. Und was für eine positive Überraschung durfte ich erleben: Heimweh von Graham Norton ist ein kleiner Schatz. Tiefsinnig, spannend, emotional und in wunderbarer Sprache geschrieben.
Kurzer Auszug zum Inhalt
Sechs junge Menschen fahren an einem heißen Sommertag in den 1980er Jahren zu einem See. Auf der Rückfahrt passiert ein Unfall, und drei von ihnen sind tot. Zwei wollten am anderen Tag heiraten, die dritte sollte ihre Brautjungfer werden. Schwer verletzt die Schwester der Brautjungfer. Nahezu unverletzt zwei Jungen, die mit der Clique eigentlich gar nichts zu tun haben. Einer von ihnen saß am Steuer des Fahrzeugs.
Was diese Katastrophe im kleinen Dorf im Herzen Irlands auslöst, gleicht einem Tsunami. Nichts ist mehr wie es war. Familien zerbrechen, Schuld drückt zentnerschwer. Dem Fahrer wird der Prozess gemacht, drei Jahre auf Bewährung ist das Urteil. Weitermachen wie zuvor kann trotzdem niemand, und so wird Connor nach England geschickt. Martin, der andere junge Mann, bleibt und heiratet später Conners Schwester Ellen. Linda, die Schwester der Brautjungfer überlebt, verbringt den Rest ihres Lebens aber im Rollstuhl.
Zwanzig Jahre später in New York trifft Connor in einer Bar einen jungen Mann. Und alles, vor dem er damals geflohen ist, bricht hervor. Schlägt Wellen bis in seine Heimat und bringt den damaligen Tsunami zum mächtigen Aufbrausen. Erzählt die Geschichte hinter der Geschichte. Und die gibt es so gut wie immer …
Meine Gedanken zum Buch: Heimweh von Graham Norton
Was mich nach Lektüre des Buches am meisten beschäftigt hat, waren Gedanken über Erwartungen. Nicht die eigenen. Nein, die vorweggenommenen Erwartungen anderer Menschen. Wir glauben so oft, Menschen erwarten dies und jenes von uns, und dann bemühen wir uns, diesen Erwartungen gerecht zu werden. Kommen gar nicht auf die Idee zu fragen, ob unsere Gedanken tatsächlich der Wahrheit entsprechen. Sind gefangen in unseren eigenen Gedanken. Und machen uns das Leben – sehr oft – unnötig schwer.
Aber schauen wir doch einmal genauer hin. Wer erwartet wirklich etwas von uns? Realistisch betrachtet sind wir den meisten Menschen schlichtweg egal. Sie mögen uns nett und sympathisch finden, trotzdem ist ihnen egal, ob wir Fleisch essen, derweil sie Vegetarier sind. Nur ein Beispiel. Wir müssen uns nicht verbiegen, um ihnen sympathisch zu sein. Wir sind es oder eben nicht.
Und was ist mit Familie? Mit Freundinnen? Mit Partnern? Trauen wir ihnen zu, uns so zu lieben, wie wir sind, oder müssen wir als Voraussetzung Anpassungen bei uns vornehmen? Dünner werden, sportlicher werden, viel Geld verdienen, erfolgreich sein, die gleichen Dinge mögen und andere verabscheuen? Wie viel “Andersartigkeit” verträgt eine tiefe Bindung? Und würden wir einen geliebten Menschen verstoßen, wenn er nicht dem Bild entspricht, dass wir uns von ihm gemacht haben?
Ich befürchte, diese Angst sitzt bei sehr vielen Menschen sehr tief. Lässt sie Geheimnisse bewahren, Lügen erzählen und sich selbst zum Teil verleugnen.
Wenn wir schon nicht in der Lage sind, in die Köpfe anderer Menschen zu schauen, so könnten wir doch zumindest einmal einen Blick in unseren eigenen Kopf werfen. Um dort Antworten zu finden. Was würde ich tun, wenn …
Meine bisherige Erfahrung ist, dass Menschen in unserem unmittelbaren Umfeld – Familie, Freunde, Partner – uns so annehmen, wie wir sind. Sie mögen nicht alles gut finden, was wir tun, aber sie verstoßen uns auch nicht. Denn im Grunde wollen sie nur eins: dass es uns gut geht. Und wer das will, kann (fast) alles akzeptieren, was diesen Menschen und seine Bedürfnisse von unseren eigenen unterscheidet. Weil die Basis – Liebe – alles annimmt. Wer hingegen kein Interesse daran hat, dass es uns gut geht, sollte es uns nie wert sein, uns seinetwillen zu verbiegen. So gesehen – was kann schon passieren?
Machen wir uns das einmal so richtig klar, werden alle Versuche, vorweggenommene Erwartungen zu erfüllen, überflüssig. Wir dürfen sein, wie wir sind. Und uns wundern, wie wenige unserer Befürchtungen wirklich eintreffen. Dieses absolut befreiende Gefühl wünsche ich euch allen.
Graham Norton ist eine der bekanntesten Fernsehpersönlichkeiten der englischsprachigen Welt. John Boyne – Autor des einzigartigen Buches “Der Junge im gestreiften Pyjama” – schrieb über Graham Norton in der Irish Times: “Möglicherweise war es Verschwendung, dass der Mann die ganzen Jahre im Fernsehen war.” Nach der Lektüre kann ich nur zustimmen und wünsche mir, mehr von ihm zu lesen.
Bildnachweis Lizenz erteilt von Rowohlt Verlag