Bücher, die mich begeistert haben. Mein Buchtipp 14 – Die Kinder sind Könige
Der Traum vieler Kinder – aber oft auch nur der ihrer Eltern: Schnell und einfach als Influencer reich und berühmt werden. Nichts scheint heute einfacher als das, und Eltern meinen es doch mit ihren Kindern immer gut. Oder? Ist also die Aussage: “Die Kinder sind Könige” nichts Erfreuliches? Kann die finanzielle Freiheit ihrer Kinder durch das Tun der Eltern etwa kein Geschenk sein? Kann es falsch sein, Kindern – die noch gar keinen Überblick haben – diesen für sie zu behalten? Kann eine Katastrophe aus gutem Willen entstehen? Das Buch gibt uns eine Antwort – und sie schmeckt bitter …
In heutiger Zeit muss niemand mehr zwangsläufig eine Schauspielausbildung absolvieren, um durch mediale Präsenz berühmt zu werden. Ein eigener YouTube Kanal reicht. Jeder Mensch kann von sich selbst kleine Videos aufnehmen und diese ins Netz stellen, und dabei gilt: Je authentischer, je besser. Menschen lieben es nun einmal, andere Menschen bei ihrem Leben zu beobachten – sämtliche Reality Shows beruhen auf diesem Wissen. So wundert es kaum, dass immer mehr private Menschen ins Licht der Öffentlichkeit drängen. Auf der Suche nach Anerkennung, Beifall, Zuspruch und ein bisschen Berühmtheit.
Die Kinder sind Könige – und ihre Eltern entscheiden.
Während jeder erwachsene Mensch dies selbst entscheiden kann und muss, sieht die Sachlage ganz anders aus, wenn Eltern ihre Kinder zu “Stars” machen wollen. Im Buch “Die Kinder sind Könige” rutscht Mélanie – Mutter zweier Kinder – fast ferngesteuert und unaufhaltsam in die virtuelle Welt. Eine Welt, in der ihr Sohn Sammy und mehr noch ihre kleine Tochter Kimmy die Herzen der Follower erobert, die Abonnentenzahl explosionsartig ansteigen lässt und in Folge reale Einkünfte erzielt werden. Einkünfte, wie kein Mensch sie mit “normaler” Arbeit erzielen kann. Und so legt auch Bruno – der Vater – seinen Job auf Eis und kümmert sich mit Mélanie zusammen um mehr Professionalität ihres YouTube Kanals “Happy Récré” . Gefilmt werden die Kinder beim Auspacken diverser Geschenke, bei Challenges – über die das Publikum abstimmen darf, beim Aussuchen neuer Kleidungsstücke – deren Wahl das Publikum treffen darf, und bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Das ganze Leben der Familie Claux findet nahezu zeitgleich in der analogen wie auch der virtuellen Welt statt. Die Familie wird reich und berühmt, keine Wünsche bleiben unerfüllt.
Doch dann verschwindet eines Tages die kleine Kimmy spurlos, und eine Katastrophe bricht über die Familie herein. Wer allerdings glaubt, dies sei schon das Schlimmste, darf sich bei einem Zeitsprung im Buch vom Jahr 2019 ins Jahr 2031 davon überzeugen, wie tief die Wunden wirklich sind …
Mir ist vor allem eine Szene gleich zu Anfang in Erinnerung geblieben. In ihr fragt Kimmy ihre Mutter, warum diese nie mit vor die Kamera käme. Weil Kimmy die Hübschere sei, antwortet die Mutter. Doch die Kleine hakt sorgenvoll nach:
“Hast du Angst?”
“Nein, gar nicht. Angst wovor?”
“Eingeschlossen zu sein.”
“Worin eingeschlossen?”
Kimmy zeigte auf das Display. Was sie genau sagen wollte, wusste Mélanie nicht. Ihre Tochter hatte immer viel Fantasie gehabt und litt oft unter Albträumen.
“Aber nicht doch, chérie, da drin ist niemand eingeschlossen.”
aus dem Buch “Die Kinder sind Könige”
Es ist mir ein Rätsel, wie dieser Hilferuf unerhört bleiben konnte. Es ist mir allerdings auch ein Rätsel, wie weit manche Eltern gehen und wie großzügig dieses “es ist doch nur zu deinem Besten” ausgelegt wird. Kinder haben auch Rechte, nur wachen über diese bis zum Eintritt der Volljährigkeit ihre Eltern. Ich wünsche mir, dass dieser verantwortungsvollen Aufgabe mit etwas mehr Verantwortung auch in digitaler Hinsicht nachgegangen wird. Ich wünsche mir für jedes Kind, dass es keine große digitale Last mit sich herumtragen muss, die jede Hoffnung auf eine anonyme Existenz im Keim erstickt. Ich wünsche mir, dass dieses Buch – es ist weiß Gott nicht leicht zu lesen – trotzdem oder gerade deswegen von allen gelesen wird, die die Verantwortung für ein neues Leben auf sich genommen haben.
Damit es so etwas nicht mehr gibt.
Ryan ist erst acht Jahre jung. Sein Kanal hat 33,4 Millionen Abonnenten. 2019 war Ryan mit 26 Millionen Dollar Einnahmen der bestverdienende YouTuber weltweit. Wie krank ist das denn bitte …
Delphine de Vigan ist eine französische Schriftstellerin, deren zahlreiche Romane ein zentrales Thema verbindet: Schäden, die das Verhalten der Erwachsenen bei den Kindern anrichten.
Bildnachweis Lizenz erteilt von DuMont Buchverlag