Buchtipp 16 - Die Kopenhagen-Trilogie von Tove Ditlevsen. Coverbild des Buchs.

Buchtipp 16 – Die Kopenhagen-Trilogie von Tove Ditlevsen

Bücher, die mich begeistert haben. Mein Buchtipp 16 – Kindheit | Jugend | Abhängigkeit von Tove Ditlevsen

Die Kopenhagen-Trilogie der dänischen Autorin wurde vom Aufbau Verlag 2021 neu aufgelegt und von Ursel Allenstein ins Deutsche übersetzt. Was für ein Glück! Denn mein Buchtipp 16 beinhaltet somit gleich drei Bücher – Kindheit, Jugend, Abhängigkeit – die ich in genau dieser Reihenfolge zu lesen empfehle.

Tove Ditlevsen erzählt schonungslos offen und in atmosphärisch verdichteter Sprache von ihrem Leben. Da wird nichts in die Länge gezogen, ausgeschmückt, weggelassen oder unnötig zerredet. Die Autorin schreibt einfach, wie es ist bzw. wie es für sie war. Und gerade, weil sie das so schnörkellos tut, kann der Leser oder die Leserin manchmal beklemmend gut nachempfinden, was ihr passiert. Vorausgesetzt, wir machen uns beim Lesen bewusst, wann sich das Ganze abgespielt hat.

Kopenhagen-Trilogie Band 1 – Kindheit

1917 geboren, wächst die Autorin in ärmlichen Verhältnissen auf. Eine Wohnung mit nur eineinhalb Zimmern, von denen das eine durch das Ehebett der Eltern vollständig ausgefüllt ist. Das Leben der vierköpfigen Familie spielt sich praktisch in nur einem Zimmer ab. Privatsphäre gibt es keine. Die Mutter eine Hausfrau, der Vater ein Heizer – zumindest bis er arbeitslos wird und den ganzen Tag schlafend auf der Couch verbringt, schlecht gelaunt von der strickenden Mutter beobachtet. Tove muss früh mit anpacken und in ihrer Schürze altbackenes Gebäck einsammeln, denn die Eltern schämen sich. Ihre Liebe zu Büchern und ihre Sehnsucht, eigene Worte zu finden und sie niederzuschreiben, findet keine Unterstützung. “Ein Mädchen kann keine Dichterin werden”, befindet der Vater kurzerhand, derweil der Bruder Tove auslacht, als er ihr Poesiealbum entdeckt und darin liest, was seine Schwester geschrieben hat. Das brennt sich schmerzhaft in Tove ein und sie bewahrt ihre unstillbare Sehnsucht tief in sich selbst. “Ich schwor mir, nie wieder jemand anderem meine Träume zu verraten und hielt mich meine ganze Kindheit daran”, schrieb sie in ihr Poesiealbum.

Als sie – kaum 12 Jahre alt – anfängt, eigenes Geld verdienen zu müssen, hat sie stets Sorge, man könne an ihr die Herkunft riechen. “Der Kindheit kann man nicht entkommen, sie hängt an einem wie ein Geruch. Man bemerkt sie auch an anderen, und jede Kindheit riecht anders. Den eigenen Geruch kennt man nicht und fürchtet manchmal, er könne schlimmer sein als bei den anderen. Hat Angst davor, dass andere einen Schritt zurückweichen, weil sie den furchtbaren Gestank der Kindheit an uns wahrgenommen haben.”

Kopenhagen-Trilogie Band 2 – Jugend

Tove lernt andere Menschen kennen. Sie arbeitet in verschiedenen Haushalten und auch als Bürogehilfin. Wenn eine Feier ansteht und ein Lied gesungen werden soll, ist es Tove, die scheinbar aus dem Nichts einen wunderbaren Text für ein Lied aus dem Hut zaubert. Erstmals wird Tove als Mensch wahrgenommen. Ihr Talent erkannt. Sie bekommt Tipps, wo sie hingehen muss, um Menschen zu begegnen, die ihr möglicherweise behilflich sein können. Denn nichts wünscht Tove sich mehr, als ihre Gedichte einmal abgedruckt sehen zu können. Als sie einem jungen Mann begegnet, der den Herausgeber einer kleinen Zeitschrift kennt, in der auch unbekannte Autoren die Chance auf eine Veröffentlichung haben, greift Tove beherzt zu. Auf einer Serviette und mit einem Bleistift soll sie ein Gedicht aufschreiben. Sie ist nervös und sich der Bedeutung des Augenblicks vollkommen bewusst. Nach kurzem Nachdenken schreibt sie:

“Nie durfte ich deine Stimme hören,

Dich niemals sehen und berühren.

Doch das Strampeln winzig kleiner Füße

Werd` ich für immer in mir spüren.”

Tove Ditlevsen

Zu dem Zeitpunkt ist Tove gerade 15 Jahre jung, und natürlich hat sie weder ein Kind geschweige denn überhaupt Interesse am anderen Geschlecht. Sie beobachtet und fühlt, und das schreibt sie so, dass einem der Atem ob der Schönheit förmlich wegbleibt. Das Gedicht wird abgedruckt, und sie lernt den Herausgeber der Zeitschrift kennen. Und lieben. Jedenfalls so, wie Tove sich die Liebe eben vorstellt. Zwei Menschen, die die Liebe zu Büchern, Gedichten und Wörtern vereint.

Kopenhagen-Trilogie Band 3 – Abhängigkeit

Es geht nicht lange gut mit Toves erster Ehe. Auch wenn sie in dieser Zeit ihr erstes Buch veröffentlicht. Sie selbst ist am meisten davon berührt. “Mein Buch! Ich nehme es in die Hand und empfinde ein feierliches Glück, das nichts gleicht, was ich je gefühlt habe. Das Buch wird immer da sein, unabhängig davon, wie sich mein Schicksal gestaltet. Heute Abend möchte ich damit allein sein, denn es gibt niemanden, der wirklich versteht, was für ein Wunder es für mich ist.”

Vielleicht gibt ihr das Buch die Kraft, sich von ihrem Mann zu trennen. Sie hat einen anderen kennengelernt und fühlt zum ersten Mal echte Liebe. Ihr Sohn wird geboren, und mit ihm ändert sich ihr Eheleben zum Schlechteren. Auf der Suche nach Ablenkung rutscht Tove mehr oder minder vom Regen in die Traufe. Ein stark schmerzstillendes Medikament – per Spritze verabreicht – versetzt sie in einen derartigen Glückszustand, dass sie immer mehr davon will. Und es von ihrem dritten Mann – einem Arzt – auch gern bekommt. “Bitte lass mich immer so weiterleben, lass mich nie mehr die Wirklichkeit ertragen.” Eine unheilvolle gegenseitige Abhängigkeit nimmt ihren Lauf und zerstört beider Leben. Tove verfällt nicht nur rein körperlich, auch psychisch mutiert sie zu einem Wrack. Nachdem sie praktisch in letzter Sekunde gerettet wurde und die schlimmsten Entzugserscheinungen hinter sich hat, erkennt sie: “Was für eine Vorstellung, etwas für jemanden fühlen zu können. Jetzt konnte ich es.” Richtig gesund wird sie auch nach dem Entzug nicht. Auch ihre vierte Ehe bleibt überschattet von der unheilvollen Sehnsucht nach dem Vergessen.

Tove Ditlevsen lebte von 1917 bis 1976. Sie starb durch eine Überdosis Schlaftabletten, die sie zwischen dem 04. und 07. März eingenommen hatte. Ihre Leiche wurde am 08. März gefunden. Tove hatte eine Tochter und zwei Söhne von jeweils drei verschiedenen Männern. Die Süddeutsche Zeitung schrieb über die 2021 veröffentliche Buchreihe: “Die Kopenhagen-Trilogie von Tove Ditlevsen ist eines der großen literarischen Ereignisse des Jahres.” Ich stimme vollauf zu.

Bildnachweis Lizenz erteilt von Aufbau Taschenbuch Verlag

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